Stolpersteine Cölbe

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    Tag des Gedenkens in Cölbe

    Stolpersteine und Gedenktafeln erinnern an die dunkle Zeit der Dorfgeschichte

    Der Künstler Gunter Demnig verlegte am 7. August 2019 vor der „Pizzeria da Carlo“ 3 Stolpersteine, die an Johanna, Rosa und Sally Stern erinnern, die in diesem Haus gewohnt haben, geboren wurden und aufgewachsen sind.

    Dr. Jens Ried und Hans Junker enthüllen die Gedenktafeln

    Bürgermeister Dr. Jens Ried begrüßte die vor dem Haus Versammelten, darunter  zahlreiche Angehörige der Sinti-Familie Strauß, Dr. Dorothea Heppe und Katrin Tekam, zwei Enkelinnen des ehemaligen Cölber Pfarrers Bernhard Heppe, für den später eine Gedenktafel enthüllt wurde, Sponsoren der Stolpersteine sowie viele Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Cölbe. Darunter war auch Elfriede Lindner, die 1943 zum letzten Jahrgang gehörte, der von dem Pfarrer und Widerstandskämpfer Bernhard Heppe konfirmiert wurde. Sie war auch eine Schulkameradin der Straußschen Kinder, mit denen sie sehr gute Erinnerungen verknüpft.

    Teilnehmer der Gedenkveranstaltung

    Cölbes Bürgermeister führte aus, dass alle Gedenkorte in Cölbe, die Stolpersteine in der Alten Dorfstraße und die Gedenktafeln vor der evangelischen Kirche daran erinnern sollen, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung keine Selbstverständlichkeit ist und uns warnen, eine Gesellschaft entlang willkürlicher Linien zu spalten. „Uns ist bewusst, dass in diesem Haus, in dieser Gemeinde Menschen gelebt haben, die hier ihre Heimat hatten, hier geboren wurden, in und für die Gemeinde gearbeitet haben und schließlich von diesem Land und dieser Gemeinschaft ausgestoßen, verfolgt, deportiert und viele sogar ermordet wurden“, sagte der Bürgermeister.

    Hans Junker

    Hans Junker, der Initiator der Stolpersteineverlegung, erinnerte in seiner Ansprache an die Familie von Isaak Stern, der mit seiner Schwester Johanna, die Hannchen genannt wurde, und seiner Familie hier  gelebt hatte.

    Johanna Stern, die wie ihr Bruder in Wehrda geboren wurde, heiratete am 27.12.1885 in Cölbe den Textilhändler Joseph Süß aus Watzenborn-Steinberg. Johanna Süß, geb. Stern wurde am 18.8.1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie starb dort kurze Zeit später am 26.9.1942.

    Rosa Stern wurde am 9. August 1890 in Cölbe, in der Alten Dorfstraße 33 geboren. Sie besuchte in Cölbe die Volksschule und wechselte dann zur Elisabethschule in Marburg. Sie heiratete in Marburg am 14. Juni 1912 den Kaufmann Richard Philippsborn (* 21.5.1880) aus Quedlinburg. Rosa und Richard Philippsborn wurden von Kassel aus in das Ghetto Riga deportiert. Von dort verbrachte man sie nach Auschwitz, wo sie im Novemvber 1943 ermordet wurden.

    Sally Stern wurde am 1. Januar 1888 in Cölbe geboren. Er wuchs hier auf und besuchte die Cölber Volksschule. Danach absolvierte er in Marburg eine Banklehre. Er heiratete am 27.7. 1920 in Frielendorf Rahne Moses, die am 27.12.1890 im benachbarten Ropperhausen geboren wurde. Aus der Ehe gingen die Töchter Margot (*1921) und Ilse (*1926) hervor. Die Familie wohnte in Marburg im Haus Barfüßertorstraße 24, in dem sich heute die evangelische Familienbildungsstätte befindet. Margot besuchte in Marburg die Elisabethschule. 1940 gelang der Familie von  Sally Stern die Flucht in die USA. Die Familie lebte dann in New York.

    Für diese drei Mitglieder der Familie Stern wurden die Stolpersteine verlegt.

    „Mit den Stolpersteinen geben wir den unzähligen Opfern ihre Namen zurück. Mit den Gedenktafeln zeigen uns die Opfer ihre Gesichter und nehmen eine menschliche Gestalt an. Wir sehen, das waren Menschen wie du und ich“, sagte Hans Junker abschließend.

    Die Stolpersteine für Johanna, Rosa und Sally Stern

    Pfarrer Dr. Alexander Warnemann betonte in seiner Rede: „Erinnerung ist anstrengend und kann beschämend sein. Gerade deswegen ist es wichtig, sich zu erinnern und den Strömungen entgegenzutreten, die Geschichte auf die positiven Ereignisse reduzieren wollen. Mit unserem Blick im Vorbeigehen auf die Stolpersteine entreißen wir die Opfer dem Vergessen“, meinte Pfarrer Warnemann.


    Lehrerin Martina Rupp von der Elisabethschule in Marburg

    Martina Rupp, Lehrerin an der Marburger Elisabethschule, betonte die Wichtigkeit, gerade in der heutigen Zeit die Jahre vor 1945 lebendig zu erhalten. „Wir überlegen in der Schule immer, wie wir den Schülern Geschichtsbewusstsein vermitteln und Erinnerungskultur aktiv in der Schule leben können“. Sie betonte, wie durch die Beschäftigung mit den Lebensgeschichten der Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus Geschichte einem plötzlich sehr nahe kommt.

    Nach der Enthüllung der drei Gedenktafeln durch Bürgermeister Dr. Ried und Hans Junker vor der evangelischen Kirche stellte  der Dekan des Kirchenkreises Kirchhain, Hermann Köhler die Bedeutung von Bernhard Heppe heraus. Heppe gehörte neben Hans von Soden sowie Karl Bernhard Ritter zu den drei führenden Köpfen der Bekennenden Kirche und des Pfarrernotbundes in Kurhessen Waldeck.


    Dekan Hermann Köhler

    „In dieser Zeit hat Heppe sehr viel Mut gezeigt, mit dem was er in seinem Wirkkreis getan und vor allem geschrieben hat. Wir als Kirche sind verpflichtet, uns allem entgegenzustellen, wo das NS- Gedankengut wieder in neuem Gewand zu Tage kommt.“

    Romano Strauß

    Romano Strauß, ein Sohn des Auschwitz-Überlebenden Heinz Strauß, sprach stellvertretend für seine Familie zum Schicksal der Familie seines Großvaters Ewald Strauß, der als Schausteller – die Familie betrieb ein Kettenkarussell – mit seiner Familie 1938 nach Cölbe zog. Am 23. März 1943 wurde die Familie mit ihren 6 Kindern von Marburg aus in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Nur Ewald Strauß und seine beiden Söhne Adam und Heinz überlebten.

    Romano Strauß, der auch im Namen des Verbandes der Sinti und Roma in Hessen sprach, dankte Hans Junker und allen an dem Projekt Beteiligten. Er sagte, Cölbe sei auch seine Heimat, denn er sei hier geboren worden und habe hier die örtliche Schule besucht. Mit Cölbe verbindet er auch viele schöne Erinnerungen. Aber er habe auch Diskriminierung und Ausgrenzung erlebt. Gerade deshalb sei es umso wichtiger für ihn und seine Familie, dass heute die Gemeinde Cölbe in dieser würdigen Form an das schwere Schicksal seiner Familie auf diese beeindruckende Weise erinnert.

    Die Bedeutung der Erinnerungskultur für die Überlebenden des Holocaust und ihre nachkommenden Generationen verdeutlichte abschließend Hans Junker.

    Irmgard Wertheim aus Bürgeln, die heute noch als Dreiundneunzigährige in Baltimore lebt, konnte es zunächst gar nicht fassen, dass 2016 mit den Stolpersteinen ihrer Familie in Bürgeln gedacht wurde: „Ich wünschte nur, dass meine Eltern dieses noch erleben dürften. Besonders mein lieber Vater, der doch hier in Bürgeln geboren war und - vor den schrecklichen Zeiten - glücklich und zufrieden hier wohnte - wie viele andere im Dorfe auch. Er, der auch so tapfer im 1. Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatte.“

    Dalia Eisen, die Enkelin von David Buchheim, der in Cölbe eine gut gehende Metzgerei betrieb und 1937 mit seiner Familie nach Palästina fliehen konnte, schrieb in ihrer Grußbotschaft aus Toronto: „Dankeschön an Herrn Gunter Demnig, den genialen Künstler. Auf seiner Website zitiert er den Talmud: "Eine Person wird nur dann vergessen, wenn ihr Name vergessen wird".  Danke, Herr Demnig, dafür, dass wir das niemals vergessen dürfen! Nochmals vielen Dank an alle und möge Gott jeden von euch segnen.“

    Liz Rome, die Tochter des aus Halsdorf stammenden Adolf Katten, für dessen Familie im letzten Jahr in Kirchhain Stolpersteine verlegt wurden, sagte in ihrer Rede auf dem Marktplatz vor dem ehemaligen Textilgeschäft ihres Vaters: „Ich möchte, dass Sie wissen, wie viel uns dies bedeutet. Das Projekt Stolpersteine stellt die Menschlichkeit wieder her. Es bringt Mitgefühl zurück, Warmherzigkeit und Verständnis. Wir haben jetzt dadurch eine Verbindung zu Kirchhain: Unsere Herzen sind bei Ihnen und wir fühlen Ihre Herzen bei uns.“


    Hans Junker dankte dem Gemeindeparlament, das alle Stolperstein-Initiativen und die Anbringung der Gedenktafeln einstimmig unterstützt hatte. Zum Schluss der Gedenkveranstaltung sagte er: „Wenn wir heute der Opfer der NS-Willkür in Cölbe gedenken, so geschieht dies auch in der Erkenntnis, wie wichtig das ist angesichts der Bedrohungen unserer Demokratie durch Extremisten von rechts wachsam zu sein. Wachsam zu sein gegenüber Menschen,  die es unter dem Deckmantel einer bürgerlichen Partei sogar geschafft haben, in die Parlamente unserer Republik gewählt worden zu sein.

    Cölbe steht für andere Werte: Für Toleranz, Weltoffenheit, Völkerverständigung und Vielfalt. Für solidarische Hilfe für Menschen in Not, die aus Bürgerkriegsländern oder aus Staaten, die elementare Menschenrechte nicht achten, zu uns gekommen sind. Ich bin stolz darauf, in solch einer Gemeinde zu leben.“

    Elfriede Lindner ging das Gedenken an Pfarrer Heppe und die Familie Strauß sehr zu Herzen. „Ich kann mich noch sehr genau an sie alle erinnern. Es ist mir, als wäre es gestern gewesen. Wir waren doch zusammen auf der Schule. Und dann waren sie plötzlich weg.“ Dann versagte ihr die Stimme.

    Design der Tafeln:  Sascha Junker

    Fotos: Monika Junker