Stolpersteine Bürgeln

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    Interview mit Irmgard Pretzfelder geb. Wertheim

    Das Goucher College ( in Baltimore, MD, USA) hat Intervies mit Holocaust-Überlebenden gesammelt. Hier  können Sie Irmgard Pretzfelder hören, die über ihr Leben in Bürgeln berichtet.

    Die jüdischen Familien Wertheim und Hess waren bis 1933 fest in das Dorfleben von Bürgeln integriert. Die Familienväter – Isidor Wertheim und Albert Hess – hatten am 1. Weltkrieg teilgenommen. Isidor Wertheim erhielt für seine Tapferkeit an der Ostfront in Russland das Eiserne Kreuz verliehen. Albert Hess verlor bei den Kämpfen sein rechtes Bein. Albert Hess und Isidor Wertheim organisierten sich nach 1918 im Kyffhäuser-Kriegerbund in Bürgeln.

    Irmgard Wertheim im Alter von 12 Jahren
    Erich Wertheim und Albert Hess 1938
    Isidor Wertheim als Soldat ca. 1910

    Isidor Wertheim war jahrelang aktiver Sänger des Bürgelner Männergesangvereins. Mit Freunden spielt er oft gemeinsam Skat.

    Berta Hess, die Cousine von Isidor Wertheim, die mit Albert Hess aus Oberasphe verheiratet war, führte das Lebensmittelgeschäft ihrer Mutter Nanny, die im Ort „das Nannchen“ genannt wurde, erfolgreich weiter. Sie war im Dorf sehr beliebt, da sie großzügig abwog und – insbesondere über die Wintermonate – anschreiben ließ. Dies war vor allem für die Familien wichtig, deren Ernährer im Bauhandwerk beschäftigt waren.

    In den Familien wurde das Bürgelner Platt gesprochen.

    Die Kinder aus den beiden Familien hießen Irmgard, Erich, Julius, Fritz, Martin und Irene. An dieser Namensgebung kann man den Grad der Assimilierung beider Familien in das dörfliche Leben gut ablesen.

    Das alles änderte sich mit dem Machtantritt der Nazis im Jahre 1933. Im Verlauf der dann folgenden Jahre wurde durch Schikanen und gesetzliche Regelungen den beiden Familienvätern ihre Tätigkeit als Viehhändler so erschwert, dass sie 1937/38 ihrem Beruf nicht mehr nachgehen konnten. Da sie etwas Land, ein oder zwei Kühe und Geflügel besaßen, konnten sie sich danach ihr Existenzminimum gerade so sichern. „Wir waren nicht so anspruchsvoll“, erinnert sich Irmgard Pretsfelder, geborene Wertheim, heute. Sie hatte 1947 in den USA Lothar Pretsfelder, der aus Fürth stammte, geheiratet.

    Es kam auch zu massiven antisemitischen Ausfällen in Bürgeln. Oft wurden vor den Häusern antijüdische Parolen geschrien oder antisemitische Lieder gesungen. Irmgard Pretsfelder, die heute als 89jährige in Baltimore/USA lebt, kann sich noch sehr gut an das Lied „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht´s nochmal so gut!“ erinnern, das örtliche Nazis mit Hitlerjungen vor ihrem Haus angestimmt hatten. Damals hatte sie – als Elfjährige – furchtbare Angst gehabt.

    Einmal wurden die Fenster im Wertheimschen Haus mit Steinen eingeworfen. 1937 wurde der Sohn Erich Wertheim von Gleichaltrigen zusammen geschlagen – nur deshalb, weil er jüdischen Glaubens war.

    Nach der Pogromnacht 1938 wurde Isidor Wertheim für Monate in das KZ Buchenwald verschleppt und dort schwer misshandelt.

    Angesichts ihrer antisemitischen Erfahrungen flohen dann Erna und Fritz Hess 1934 und 1936 in die USA. Erich Wertheim gelang dies 1938.

    Im Jahre 1939 konnten sich die beiden Ehepaare Hess und Wertheim mit ihren Kindern Martin und Irmgard in Sicherheit bringen. Wertheims gelang die Flucht nach England, die Familie Hess konnte in die USA entkommen.

    1942 wurden die beiden Schwestern von Isidor Wertheim – Betty Katz und Frieda Gunzenhäuser – deportiert und in Treblinka ermordet. Jettchen Marx, die Schwester von Berta Hess sowie Frieda Wertheim, die Großcousine von Isidor Wertheim und Berta Hess, fanden im selben Jahr ebenfalls in Treblinka ihren Tod. Frieda Wertheim, die in Bürgeln geboren und aufgewachsen ist, lebte davor als Alleinstehende in Marburg. Sie war  Haushälterin bei dem jüdischen Kaufmann Isaak Strauß in der Wettergasse gewesen.

    Für alle diese Opfer des Nationalsozialismus sollen am 3.5.2016 in Bürgeln Stolpersteine verlegt werden – insgesamt 13 an der Zahl. Der Ortsbeirat von Bürgeln hat auf seiner öffentlichen Sitzung vom 24.11.2015 dies einstimmig befürwortet.

    Durch Spenden und Patenschaften sollen die Kosten für die Stolpersteine finanziert werden.

    Spenden können auf die Konten der Gemeinde Cölbe unter dem Stichwort „Stolpersteine Bürgeln“ eingezahlt werden.

    Sparkasse Marburg-Biedenkopf: IBAN DE07 5335 0000 0037 0005 90 BIC HELADEF1MAR

    und VR Bank HessenLand eG: IBAN DE38 5309 3200 0006 3073 61 BIC GENODE51ALS

    Wer eine Patenschaft für einen Stolperstein übernehmen möchte, kann sich mit Hans Junker (06427 2249 oder junker.hans@gmx.de) in Verbindung setzen.